Zuverlässigere Laboruntersuchungen durch Standards in der Präanalytik

Die Qualität von Bioproben für molekulare Tests in Diagnostik und Forschung wird noch zu wenig beachtet. Unter Mitwirkung von Prof. Karl-Friedrich Becker aus dem Institut für Pathologie der TUM am Klinikum rechts der Isar sind nun neue Europäische Standards zur Präanalytik erarbeitet worden, die die europäische Normungsbehörde CEN im Oktober 2015 veröffentlicht hat (http://standards.cen.eu). Sie sollen zu verlässlicheren Resultaten im Labor führen.

Täglich werden Millionen von Bioproben in Laboratorien auf der ganzen Welt untersucht. Die Ergebnisse solcher Analysen von wenigen Millilitern Blut oder winzigen Gewebeproben entscheiden oft über die weitere Behandlung eines Patienten. Zum Beispiel haben Tumorzellen bei bestimmten Krebsarten vermehrt Eiweißmoleküle, sogenannte Rezeptoren, auf ihrer Oberfläche. Diese Rezeptoren vermitteln Wachstumssignale, mit denen sich die Krebszellen rascher teilen können. Einige moderne Krebsmedikamente hemmen diese Proteine und können so das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen. Diese Medikamente dürfen aber nur verabreicht werden, wenn der Rezeptor in sehr hohen Mengen auf der Oberfläche der Tumorzellen in einer Gewebeprobe nachweisbar ist. Andernfalls ist die Gabe des Medikamentes nicht sinnvoll, da es nicht wirksam ist. Manche der Blut- oder Gewebeproben werden auch in sogenannten Biobanken gelagert, um sie für spätere Analysen aufzubewahren. Proben in Biobanken mit den zugehörigen klinischen Daten sind die Grundlage für akademische und industrielle Forscher, um neue Medikamente oder verfeinerte Diagnosetechniken zu entwickeln. In den vergangenen Jahren gab es sehr viele Fortschritte bei den Analysetechniken für molekulare Untersuchungen zum Nutzen der Patienten. Die Tests sind nun um ein Vielfaches genauer und robuster als vorher, mit sehr geringen Abweichungen. Dann ist ja alles gut, oder? „Leider nicht immer“ sagt Prof. Karl-Friedrich Becker, Leiter des Labors für Experimentelle Pathologie. „Die Fortschritte bei den molekularen Tests, was die Sensitivität, den Durchsatz, die Genauigkeit und Zuverlässigkeit angeht, sind enorm. Leider wurde die Qualität der biologischen Proben, etwa Blut- oder Gewebeproben, vor dem Test vernachlässigt.“ Es fehlten internationale Standards für die Schritte vor dem eigentlichen Test, die sogenannte präanalytische Phase. Schätzungen zufolge beruhen etwa 68 Prozent der Probleme bei Laboruntersuchungen in Krankenhäusern auf Fehlern in der Präanalytik. Dazu kommt, dass viele präklinische Forschungsergebnisse nicht reproduzierbar sind, was zu wirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe führt. Experten sind sich einig, dass die Qualität von Blut-, Gewebe- und anderen Proben für Klinik und Forschung nur mit internationalen Standards zu verbessern ist. Wissenschaftler um Prof. Becker haben ihre Forschungsergebnisse erfolgreich in Normen eingebracht.

Wie entstehen Normen und Standards überhaupt?

Normen werden von Expertengremien beim Deutschen Institut für Normung (DIN) sowie den europäischen (CEN/CENELEC) und internationalen (ISO) Normungsorganisationen erarbeitet. Die Experten verständigen sich unter Berücksichtigung des Standes der Technik auf eine gemeinsame Formulierung im Normungsdokument. Prof. Becker wurde vom DIN als Experte in den Normenausschuss Medizin NA 063-03-03 AA „Qualitätsmanagement in medizinischen Laboratorien“ berufen. Darüber hinaus ist er Mitglied und Projektleiter im Europäischen Komitee für Standardisierung (CEN) TC140 „In vitro diagnostic medical devices“ und im Technischen Komitee TC212 “Clinical laboratory testing and in vitro diagnostic test systems” der Internationalen Organisation für Normung (ISO). Die Gewinnung von Bioproben für die in vitro Diagnostik und deren Aufbewahrung in Biobanken für die akademische und industrielle Forschung ist ein komplexer Prozess, bei dem die Tätigkeiten vieler Akteure (Kliniker, OP-Pflegekräfte, Pathologen, MTAs, Biologen, IT-Spezialisten) nahtlos ineinandergreifen müssen. Die Einflüsse der Gewebeprozessierung, wie Entnahme, Transport, Fixierung und Lagerung des Materials auf die Integrität, Stabilität und Expression von Biomarkern sind nur unzureichend erforscht. Wenn die Einflüsse der Probengewinnung auf das Ergebnis der Biomarkerbestimmung bekannt sind, lassen sich diese minimieren, um in Zukunft bessere Biomarker zu entwickeln und verlässlichere Ergebnisse für die Patienten zu bekommen.

Erfolg des Münchner Spitzenclusters m4

Der Münchner Spitzencluster m4 „Personalisierte Medizin“ (www.m4.de) und das Europäische Verbundprojekt SPIDIA (www.spidia.eu) haben experimentelle Daten erhoben, um die kritischen Schritte der Probengewinnung zu identifizieren. Im derzeitigen Arbeitsablauf der In-vitro-Diagnostik oder in der klinischen Forschung weiß nämlich derjenige, der den Test im Labor durchführt, in der Regel nicht, was mit der Probe geschehen ist, bevor sie dort eintrifft. Die Wissenschaftler unter Federführung von Prof. Becker haben festgestellt, dass sich Analyte wie Proteine und Phosphoproteine verändern können, je länger es dauert, bis die Gewebeproben stabilisiert sind. Nicht alle Proteine und Phosphoproteine reagieren in jedem Patienten und in jedem untersuchten Organ gleich. Diese und weitere Resultate waren die Grundlage für die Erstellung von Europäischen Standards, die nun von CEN herausgegeben wurden. Diese sind relevant für In-vitro-Diagnostik-Labore, Kunden dieser Labore, Entwickler und Hersteller von In-vitro-Diagnostika, molekulare Pathologien, Organisationen, die in der biomedizinischen Forschung tätig sind, Biobanken sowie Aufsichts- und Zulassungsbehörden. Inzwischen hat die ISO die Verbesserung der Probenqualität zum weltweiten Ziel erklärt. Dadurch ist Becker nun auch Projektleiter für zwei von acht ISO-Standards zur Präanalytik, die 2017 publiziert werden sollen.

Quelle: MRI Newsletter Dezember 2015